Als Lehre der Vernunft beginnt der Yoga mit dem Fundament der Gesundheit (ârogya). Ohne sie gibt es kein Vorankommen auf dem spirituellen Pfad, denn ein schwacher und kranker Körper hält den Geist unten, bindet ihn an das Grobstoffliche.
»So wie ein Haus für einen Menschen ist, so ist der Körper für die Seele oder das Selbst. Ein Haus ist dazu da, daß ein Mensch darin wohnt. Solange man in einem Haus lebt, kümmert man sich darum, aber wenn man aufhört darin zu leben, hat das Haus keinen Wert für einen und wird vernachlässigt. Genauso ist der Körper nur für die Seele da, um darin zu leben. Wenn die Seele den Körper verläßt, hat er keinen Wert mehr und geht zugrunde. Solange die Seele in einem Körper lebt, muß der Körper gut gepflegt werden, d.h. er muß richtiges Essen und Trinken bekommen, er muß sich richtig ausruhen und er muß sauber gehalten werden. Andernfalls wird die verkörperte Seele nicht lange in einem glücklichen Zustand leben.« [Shri Swami Narayanananda]
»Wie eine Lampe Licht geben soll, so soll der Körper der Gottverwirklichung dienen. Der Sinn des Körpers ist die Verwirklichung des Âtman (Selbst). Hierfür muß man ihn in Ordnung halten, reinigen und stark machen.« [Shri Swami Narayanananda]
Der gesundheitliche Teil des Yogasystems heißt hatha-yoga. Er umfaßt unterschiedliche Körper- und Atemübungen, Techniken der Reinigung, die Ernährung und die psychische Hygiene. Sein Ziel ist das harmonische Fließen der Lebenskraft (prâna) im Organismus, gleichbedeutend mit der körperlichen und geistigen Gesundheit.
Der Hatha-Yoga gilt in Indien seit jeher als Quelle der Gesundheit. Im Westen erkennen immer mehr Menschen seinen wohltätigen Einfluß auf alle Systeme des Körpers. Korrekt praktiziert ist er die beste Methode gegen Rückenschmerzen und gibt den Muskeln die optimale Elastizität und Kraft. Auch greift er sanft auf die Psyche über und verhilft zu innerer Ruhe und Konzentration.
Körperübungen
Dieser im Westen bekannteste Aspekt des Hatha-Yoga besteht aus Dehn-, Kraft- und Gleichgewichtsübungen und der Entspannung (das Atmen und die Reinigungen zählt man ebenfalls zum körperlichen Yoga; hier werden sie getrennt erwähnt). Die Hingabe in eine der tief auf den Prâna wirkenden Dehnungen; die konzentrierte Spannung in einer Kraftstellung; die Willenskraft in einer Stellung des Gleichgewichts; die Gelöstheit in der Entspannung; die machtvolle Wirkung der großen Darmreinigung; die Leichtigkeit beim Atmen: wovon soll man mehr schwärmen? Am Hatha-Yoga ist alles außergewöhnlich. Beabsichtigtes Ergebnis ist der harmonische Fluß des Prâna. Daher fühlt man sich auch nach einer langen und anstrengenden Yogasitzung nicht erschöpft. Der Körper ist aufgeladen, der Geist ruhig. Nach einer Stunde intensiver Übung sieht man die Welt mit anderen Augen.
Heilatmen
Die Yoga-Atmungen sind zweierlei: a) die fließenden, sanften Übungen, bei denen die Luft nach der Einatmung nicht angehalten wird. Sie fördern den harmonischen Fluß des Prâna und sollten von allen an der Gesundheit Interessierten praktiziert werden; b) der klassische Pranayama, die Techniken mit längerem Anhalten der Luft. Sie beinhalten selbstverständlich auch einen höchst therapeutischen Teil, ihr eigentliches Ziel aber ist die Erweckung der Kundalini. Daher darf der Pranayama nur von völlig gesunden, intensiv Übenden unter Anleitung eines Meisters praktiziert werden, er gehört nicht an die Öffentlichkeit.
Reinigungen
Entsprechend der Anschauung über Agni, dem zentralen Feuer der Verdauung und damit des Lebens, ragt unter ihnen die Feuerreinigung des Darmes hervor. Bereits die Wirkung auf den Darm rechtfertigt ihren hohen Wert. Zudem erweist sie sich durch den dabei entstehenden Unterdruck (Sog) im Rumpf als höchst effektiv für Herz, Kreislauf, Beinvenen, Lymphsystem, Leber, Lungen, Zwerchfell, Beckenboden. Auch die große Darmreinigung mit Wasser zeichnet sich durch eine weitreichende Wirkung auf den Organismus aus. Daneben gibt es kleinere Techniken. Die Reinigung der Zunge, sie gehört in Indien zur Volkshygiene, sollte auch für uns selbstverständlich sein; ebenso wie die tägliche Spülung der Nase mit Salzwasser. Die Spülung des Mastdarms (der kleine Einlauf) wirkt in einer Kettenreaktion positiv auf den ganzen Dickdarm. Die Reinigung des Magens mit Salzwasser, das therapeutische Erbrechen, wurde auch von unseren großen Ärzten des Altertums über alles gelobt. Schließlich Trâtaka, die Reinigung der Augen durch das willentliche Herbeiführen des Tränenflusses.
Ernährung
Die Âsanas, das Atmen und die Reinigungen bringen enorm viel, aber erst eine gleichzeitige rechte Ernährung führt zum wahren Erfolg. »So wie die Speise eines Menschen beschaffen ist, so ist sein Blut ...« Die richtige Ernährung spielt für die Gesundheit die größte Rolle. Zwei von mehreren Begründungen für diese Behauptung sind der eben erwähnte Leitsatz der hippokratischen Säftelehre und das Yogaprinzip: Kein anderer Faktor stört den Fluß des Prâna im gesamten Organismus mehr als die Überfüllung des Magens. Sie erstickt Agni, verschlackt das Kraftwerk in der Mitte des Körpers und bringt den naturgemäßen Fluß aller Energien durcheinander. Was man essen soll, dieser im Westen betonte Aspekt darf nicht geringgeschätzt werden. Für den Yogin jedoch ist die Frage vordringlich: Wie sollte man essen? Und zuerst heißt es: Iß sattvische Nahrungsmitel, iß maßvoll und langsam, kaue die Speisen gut. Der hohe Stellenwert einer rechten Ernährung kann an dieser Stelle unmöglich gewürdigt werden; es sei auf »Ernährung und Gesundheit« [→ Link ←] verwiesen.
Psychohygiene
Die »Klarheit, Ruhe des Geistes« (prasâda) fällt nicht unter diesen Bereich. Prasâda ist ein extrem hohes Ziel, die psychische Gesundheit dagegen einfacher Art: die innere Hygiene des Alltags. Dazu zählt, daß man sich um einen gesunden Schlaf bemüht; daß man darauf achtet, was durch Augen und Ohren in den Geist gelangt; daß man nicht klagt; das positive Denken pflegt … Dies alles stellt eine Schule der Selbstbeherrschung dar, und erst dadurch öffnet sich das Tor zu Prasâda.
Der Hatha-Yoga ist das beste von allen Gesundheitssystemen. Zahllose Menschen unterschreiben aus eigener Erfahrung jedes Wort des berühmten Satzes aus der klassischen Schrift Hathayoga-Pradîpikâ:
asheshatâpataptânâm samâshrayamatho hathah
»Der Hatha-Yoga ist das zufluchtbietende Kloster für die von Schmerzen Geplagten.« [I.10]
Bildnachweis
fitness instructor ©Gabi Moisa/fotolia.com
Yoga Cobra Pose = ©David Crowther/istockphoto.com
Diese Seite wurde am 28.10.2024 zuletzt geändert.